TuS Usseln’s Pokalhistorie
Rekordpokalsieger kommt aus Usseln – 10 Finalteilnahmen – 10 Siege
von Manfred Niemeier – Nachschrift aus der Waldeckischen Landeszeitung
Usseln. Dem Zufall überließ man schon damals nichts. Vier, fünf Wochen vor den entscheidenden Spielen wurde extra ein Trainer geholt. Der bolzte vor allem Kondition. Kraft und Ausdauer, gepaart mit einem großen Maß an Kameradschaft, lehrte dann die Gegner das Verlieren. Neunmal in 13 Jahren (1949 bis 1961) hat der TuS Usseln den Waldecker Pokal gewonnen, 1969 noch einmal – ein einsamer Rekord. Siegfried Schmidt, der an allen zehn Titeln beteiligt war, Hermann Biederbick, bei den fünf Siegen ab 1957 dabei, und Willi Schulze (alte Schule), beim ersten Erfolg im Team, blicken zurück. Ein Stück Zeitgeschichte.
Die Premiere im 1949 zum Leben erweckten Waldecker Pokal gelang aus Usselner Sicht mit Platz drei nur halb. Die Trophäe stellte sich zuerst der TSV Vöhl in den Schrank. Der Siegeszug der Upländer begann ein Jahr später. „Da war alles auf den Beinen“, erinnert sich Siegfried Schmidt an den ersten Triumph. Mehrere hundert Zuschauer drängelten sich am alten Willinger Sportplatz unter dem Viadukt, ließen sich auch vom miesen Wetter nicht in ihrer Begeisterung stören. Die meisten waren zu Fuß gekommen. „Das war doch früher keine Entfernung“, sagt Hermann Biederbick.
Die Mannschaft hatte es einfacher, sie fuhr mit dem Holzvergaser-Bus von Erich Saure in den Nachbarort. Dort war von der heutigen Willinger Fußballherrlichkeit noch lange keine Rede, Usseln genoss Heimrecht. Der SV Anraff bekam das zu spüren und kassierte eine 2:6-Packung. „Es war eine Schlammschlacht“, erzählt Willi Schulze. „Wir haben uns anschließend im Itterbach gewaschen und sind in den dreckigen Sachen durch den Ort zur Siegerehrung in die Schützenhalle marschiert.“ Die Zuschauer hinterher.
Bis 1954 schlossen sich nahtlos vier weitere Siegesfeiern an. Am wenigsten hatten die Usselner mit dem 2:0 in Vöhl 1951 gegen den SV Wega gerechnet. Der Gegner war Favorit. „Die hatten viele gute Leute, die alle bei Correcta arbeiteten“, sagt Biederbick. „Einer von denen, der Schrauf, lief 11,0 über 100 Meter.“ Ein Fall für die Sonderbewacher Karl Kesper oder Schmidt. Der linke Läufer hatte die meiste Puste.
Begossen wurde der Triumph in der Henkelhalle. Da habe er einmal die Theke abgeräumt, erinnert sich Schmidt. Den dezenten Hinweis des Wirts, zwei Gläser seien zerbrochen, quittierte er mit der erstaunten Frage: „Mehr nicht?“ Man war hart im Nehmen und Geben. „Die Verlängerung war meistens länger als das Spiel“, schmunzelt Biederbick.
Als „Mann in allen Gassen“ beschreibt Biederbick seinen Mitstreiter Schmidt, der als Markenzeichen stets ein Taschentuch um die Stirn gebunden hatte. Der damals 24-Jährige besaß als Einziger ein Motorrad. Er fuhr selten allein, oft zu dritt. Eine dieser Siegestouren, mit Werner Scholz und Willi Saure (Bick-Willi) als Sozius, endete mit Kopfständen auf der Theke.
Schmidt, gebürtiger Titmaringhäuser, war noch mit knapp 80 regelmäßig beim Hallentraining der Alten Herren des TuS am Ball. Zu Beginn seiner Karriere hatte er sich zunächst nicht entscheiden können, für wen er den Ball treten soll – für seinen Heimatort im Westfälischen oder für Usseln, wo er in der Molkerei arbeitete. Die logische Konsequenz: Er besaß hier wie da einen Spielerpass. „Eines Tages ist das aber aufgeflogen.“
Schuld war nur der SV Deifeld. Der hatte eine wichtige Begegnung gegen den SV Titmaringhausen verloren. Die „Rache“ folgte auf dem Fuße, ein Milchwagenkutscher aus Deifeld, der auch die Molkerei in Usseln anfuhr, petzte. Die Strafe fiel milde aus, und „Heinz Rühmann“, wie ihn seine Freunde riefen, entschied sich für Usseln. Dort wohnte auch seine heutige Ehefrau. 1965 war Schmidt der erste TuS-Kicker, der für 600 Spiele in der ersten Mannschaft, in der er auch mit 40 noch ab und zu spielte, die goldene Leistungsnadel des Vereins bekam.
Wie wichtig er fürs Team war, wusste Schmidt spätestens 1951, als er die Molkereischule in Gelnhausen besuchte. „Oma in Diemelsee gestorben, bitte sofort kommen“, telegrafierte Lehrer Wolfgang Nietzsche, zugleich Spieler und Obmann, ins Osthessische. Es gab zwar keine Großmutter in Diemelsee, aber ein schweres Spiel – und „Heinz“ war dabei. Ein anderes Mal brachte ihn der Pfarrer höchstpersönlich nach einer Kindtaufe mit dem Auto pünktlich zum Anpfiff auf den Sportplatz. Auch Kollege Biederbick ließ für den Fußball alles stehen und liegen. 1964 unterbrach er sogar seine Hochzeitsreise am Tegernsee, um ein Spiel in Oberelsungen nicht zu verpassen.
Ein weiteres Beispiel für den engen Zusammenhalt der Usselner Kicker lieferte Werner Scholz. Bei Wind und Wetter kam der Mann, der eine Frau aus Usseln hatte, mit dem Motorrad aus Bochum. Schmidt: „Die nassen Sachen wurden in der Molkerei über den Kessel gelegt. Abends nach dem Spiel waren sie wieder trocken, und er fuhr wieder zurück.“ Als das Motorrad neu war, soll Scholz die ganze Strecke im ersten Gang gefahren sein – er war mit der Schaltung noch nicht zurechtgekommen.
Der Aufwand hat sich stets gelohnt. Immer wenn der TuS Usseln im Finale stand, dann hat er es auch gewonnen. Und überhaupt nur zweimal in diesen Jahren, nämlich 1949 und 1959, erreichte die Mannschaft bei der Teilnahme am Waldecker Pokal nicht das Endspiel. Die Siegesserie endete zunächst 1954, weil die Upländer im gleichen Jahr die Meisterschaft der B-Klasse holten, damals die höchste Waldecker Liga. Als A-Ligist war ihnen die Tür zum Pokal versperrt.
Als der TuS zwei Jahre später im Zuge einer Umgruppierung wieder ins Waldecker Oberhaus zurückgestuft wurde, folgte 1957 prompt Sieg Nummer sechs. Sehr zum Ärger anderer Vereine. „Wenn Usseln weiter mitspielt, dann treten wir nicht mehr an, hieß es damals“, erinnert sich Willi Schulze.
Die Jungs aus dem Upland konnten nicht nur Fußball spielen. Jedenfalls soll der Epper Pfarrer von der Kanzel gewarnt haben: „Lasst die Mädchen zu Hause, die Usselner kommen!“
1957 beim 4:2-Sieg in Anraff gegen den TSV Münden traf der damals 17-jährige Hermann Biederbick zweimal ins Schwarze. Eine der ersten Produktionen der späteren Usselner Torfabrik auf zwei Beinen. „Unter 20 Treffern pro Saison blieb der nie“, erzählt Schmidt. In seiner stärksten Saison beulte der Mittelstürmer 43-mal gegnerische Tornetze.
Die Taten von „Huber“, so sein Spitzname, imponierte auch Regionalligist Germania Wilhelmshaven, der sich 1962 als Gast des Pfingstsportfests eine 1:4-Klatsche abholte. Biederbick erhielt ein Angebot, verweigerte aber ein Jahr vor Einführung der Bundesliga seinen Namenszug unter dem Vertrag („den habe ich noch heute in der Brieftasche“) und blieb seiner späteren Ehefrau Marlies zuliebe in Usseln. Bis weit jenseits der 30 spielte der selbstständige Zimmermann in der ersten Mannschaft, absolvierte deutlich über 700 Einsätze, „Sonderbewacher für einen 37-Jährigen“ titelte einmal die WLZ.
Der Kopfspezialist, der laut Siegfried Schmidt mehr Tore mit dem Kopf als mit den Füßen gemacht hat, war hervorgegangen aus einer bemerkenswert starken Jugendabteilung des Turn- und Sportvereins. Sie bildete die Basis unter anderem für die B-Klassen-Meisterschaften 1954, 1958 und 1961 sowie den Bezirksklassenaufstieg 1964 und den Sprung in die Bezirksliga nur eine Saison später. A- und C-Jugend wurden mehrmals Kreismeister und gewannen öfters den Waldecker Pokal. Und dann gab es noch in der C-Klasse die Reserve, in Waldeck allgemein als „Rakete“ bekannt. 1961 zählte der Verein über 50 Seniorenspieler.
Unter ihnen fanden sich Fußballer aus Rattlar (mit Frieder Vogel) und die Willinger Manfred Kramer sowie die Brüder Karl und Wilhelm Kesper. Wilhelm, besser bekannt als „Wullik“, spielte Mittelläufer, heute Libero. Er war vor dem 60er-Finale gegen Züschen (4:1) das Sorgenkind. Mit einer vereiterten Schnittwunde am Knie die Woche vorher krankgeschrieben, hatte ihm Arzt Dr. Hesse Spielverbot erteilt. Sein Chef Wilhelm Saure, Sägewerksbesitzer und Schwiegervater von Biederbick, hob es aber nach einer „Krisensitzung“ in Kespers Küche auf. „Als Dr. Hesse ihn dann in der Zeitung auf dem Siegerfoto sah, war das Theater groß“, erinnert sich Biederbick und sagt, man habe überhaupt mit Verletzungen nicht viel Aufhebens gemacht: „Da wurde Mobilat draufgerieben, dann war’s gut.“
Mehr Betreuung genoss da schon das Objekt der Begierde. In Franz Resnitschek, einem Sudetendeutschen, der als Heizer im Sägewerk arbeitete, hatten die Usselner in den 50er-Jahren einen peniblen Ballwart. Er hütete die runden Leder wie seinen Augapfel.
Ansonsten galt: Selbst war der Mann und die Mannschaft. Sie trainierte in der Regel ohne Übungsleiter, Spielführer und Obmann stellten die Elf auf. Wenn aber die entscheidenden Spiele im Waldecker Pokal nahten, dann wurde extra ein Trainer verpflichtet. „Der beste, der dann zu greifen war“, sagt Biederbick.
Den Ruf, die Besten zu sein, hatten damals die Korbacher Karl George, mit dem auch der Aufstieg in die Bezirksliga gelang, und vor allem Herbert Hordych. Statt einmal ging’s jetzt zweimal die Woche hart zur Sache. Unter Hordych, sonst eine Stimmungskanone, hatten die Jungs im Training nichts zu lachen. Er trieb sie, bis die Lunge pfiff. Und die Spieler wollten es so. Biederbick: „Wir haben die Pokale nur über unsere Kondition gewonnen, das hielten die Gegner gar nicht durch.“ Und das gleich zehn Mal in zehn Endspielen – ein Rekord für die Ewigkeit.